Brasilianisch oder Portugiesisch: Wie viel Vielfalt verträgt eine Weltsprache?
Ist die “Weltsprache” Portugiesisch in Wahrheit gar keine? Obwohl bis zu 230 Millionen Menschen welweit Portugiesisch als Muttersprache verwenden, ist der internationale Einfluss der Sprache gering. Wie kann sich die international verwendete Sprache Portugiesisch nun also tatsächlich zu einer Weltsprache mausern? Während in Portugal Politiker und Sprachwissenschaftler noch über diese Frage streiten, hat Brasilien längst das Heft des Handelns in die Hand genommen.
Viel ist vom alten portugiesischen Weltreich wirklich nicht mehr übrig geblieben. Und doch verweisen traditionsbewusste Portugiesen gerne auf ihre Sprache, die – ausgehend von Portugal – auch heute noch auf drei Kontinenten gesprochen wird. Zwischen 200 und 230 Millionen Menschen verwenden weltweit die Sprache, die ihnen Bartolomeu Dias und Pedro Álvares Cabral vor fünf Jahrhunderten gebracht haben. Damit belegt das Portugiesische heute Platz sechs auf der Weltrangliste der meistgesprochenen Sprachen.
Das Attribut “meistgesprochen” sagt jedoch noch lange nichts darüber aus, wie viele Nicht-Muttersprachler sich davon begeistern lassen, diese Sprache auch zu lernen. Und so hält der Rektor der Universidade Aberta in Coimbra, Carlos Reis, den Stolz auf die weite Verbreitung des Portugiesischen einzig und allein für “triumphalistische Rhethorik“.
Carlos Reis weiß, wovon er spricht: Denn er hat dem Außenministerium in Lissabon vor wenigen Wochen eine umfangreiche Studie über die “Internationalisierung der portugiesischen Sprache” vorgelegt – und die Ergebnisse sind ernüchternd:
- Zwar gehört Portugiesisch zu den meistgesprochenen Sprachen der Welt – der tatsächliche Einfluss auf der Weltbühne ist jedoch, vor allem verglichen mit dem Spanischen, gering.
- Portugal hat über Jahre hinweg die Etablierung einer internationalen Sprachpolitik versäumt – und hat damit wertvolle Zeit verspielt.
- Nachholbedarf gibt es auch bei der Unterrichtung des Portugiesischen im Ausland. Es fehlen portugiesische Schulen und genügend gut ausgebildete Lehrkräfte jenseits der Landesgrenzen.
Ganz neu sind diese Erkenntnisse eigentlich nicht. Bereits 1998 kam der schweizerische Sprachforscher George Weber in seiner immer noch viel zitierten Studie “The World’s 10 most influential Languages” zu ähnlichen Ergebnissen: Liegt das Portugiesische bei der Zahl der Sprecher weltweit auf Platz sechs, so landet es beim tatsächlichen Einfluss abgeschlagen auf Platz neun – in dieses Ranking fließen nämlich neben der Zahl der Muttersprachler noch andere Faktoren, wie die Wirtschaftskraft der Länder oder das sozio-literarische “Prestige” einer Sprache ein.
Die Liebe? Vogel, der Eier aus Eisen legt… so schön kann nur Portugiesisch sein. Aufnahme aus dem “Museu da Língua Portuguesa” in São Paulo, Brasilien. Foto: mOOrango* auf Flickr
Auch Carlos Reis weist in einem ausführlichen Gespräch mit dem Expresso auf den Unterschied zwischen Quantität und Qualität hin:
“Die Sprecher [des Portugiesischen] leben zu einem Großteil (…) in Ländern, die im internationalen Konzert leider nur über eine leise Stimme verfügen. Eine Sprache hat nur wenig Möglichkeiten sich zu internationalisieren, solange sich nicht-linguistische Instanzen (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft) nicht behaupten können.”
Portugiesisch-Boom in China
Ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist. Dort, wo portugiesischsprachige Länder als Handelspartner attraktiv werden, erwacht fast automatisch ein Interesse am Erlernen der portugiesischen Sprache. In China – und nicht nur in Portugals ehemaliger Kolonie Macau – hat sich sogar ein kleiner Portugiesisch-Boom entwickelt, der mit vorhandenen Lehrkräften kaum bedient werden kann. Kein Wunder: Schließlich sind chinesische Firmen in den rohstoffreichen Ländern Afrikas äußerst aktiv – und wer in Moçambique oder Angola als Handelspartner Erfolg haben möchte, muss eben die Sprache des Marktes beherrschen.
Doch welches Portugiesisch lernen eigentlich die Chinesen? Die Frage ist schwerer zu beantworten als es zunächst scheint. Zwar können sich portugiesischsprechende Menschen weltweit, gleich ob sie aus Afrika, Europa oder Südamerika kommen, durchaus gut verständigen – und dennoch gibt es, von Land zu Land viele regionale Eigenheiten der Sprache. Über Jahrzehnte hinweg konkurrierten sogar zwei Schriftsprachen miteinander: Eine europäisch-afrikanische Variante und eine brasilianische des Portugiesischen.
Museu da Língua Portuguesa, Brasilien. Foto: mOOrango* auf Flickr
Spätestens die von Portugal nicht mitgetragene erste brasilianische Rechtschreibreform im Jahr 1911 markiert den Beginn eines jahrzehntelang anhaltenden Bruchs. Bis heute kam es so, vor allem zwischen Brasilien und Portugal, zu Auseinandersetzungen über das “richtige Portugiesisch“. Diskussionen, die manchmal übertrieben erscheinen – schließlich sind die Unterschiede in der Schriftsprache eher gering und betreffen maximal zwei Prozent des Wortschatzes.
Unterschwellig geht es bei den Debatten jedoch um eine andere Frage: Nämlich um die Deutungshoheit über das Portugiesische. Portugal sieht sich als “Geberland” der Sprache in einer priviligierten Situation, während Brasilien mit der faktischen Macht von 190 Millionen Sprechern argumentiert.
Ein Konflikt, den etwa Portugals Nachbarland Spanien in dieser Form nie ausfechten musste: Spanien setzte in seiner Sprachpolitik traditionell eher auf eine Zusammenarbeit mit den süd- und mittelamerikanischen Ländern. Dieser Gleichklang, verbunden mit der starken hispanischen Präsenz in den USA und einer geschickten Sprachpolitik, katapultierte das Spanische heute zu einer der einflussreichsten Sprachen der Welt ganz nach oben. In Webers “Einfluss-Liste” belegt das Spanische heute noch Platz drei, während andere Sprachforscher bereits den Titel des Vize-Meisters nach dem Englischen und noch vor dem Französischen zusprechen wollen.
Das Beispiel Spanien zeigt auch: Je größer der Einfluss der Sprache ist, desto stärker wächst der politische, wirtschaftliche und kulturelle Einfluss in der Welt – und längst gilt Spanisch weltweit als “Mode-Sprache”, die man auch lernt, weil es einfach chic und mondän ist.
Brasilien will den Sprachvorteil nutzen
Dieser Erfolg ist auch in den portugiesischsprechenden Ländern nicht unbemerkt geblieben. Und gerade das politisch wie wirtschaftlich stark aufstrebende Brasilien pocht nun immer lautstärker darauf, das Lernen von Portugiesisch weltweit zu fördern. Schließlich hat Brasilien noch große Pläne: Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat steht schon lange auf der Agenda, das Land betreibt ein eigenes Raumfahrtprogramm und sieht sich auch als entscheidender Energielieferant der Zukunft. Zur Untermauerung dieser Rolle muss freilich auch eine starke Sprachpräsenz her.
So setzte in den letzten Jahren Brasilien fast immer im Alleingang immer wieder Initiativen zur Förderung des Portugiesischen in der Welt in Gang: Erst im April kündigte Brasiliens Außenminister Celso Amorim die Gründung der “Universidade da CPLP” an – einer im Nordosten Brasiliens beheimatete Hochschule, die für alle Studenten aus der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder (CPLP) offenstehe. Eine kalte Dusche für Portugals Politiker, die von den Plänen nicht informiert waren – obwohl sie doch traditionell den Führungsanspruch für solche Gemeinschaftsinitiativen eher im “Mutterland” der Sprache angesiedelt sehen.
Angestachelt von den Aktivitäten jenseits des Atlantiks kommt nun auch wieder Bewegung in die portugiesische Politik. Auf Basis der Ergebnisse aus der Studie von Carlos Reis will die Regierung am kommenden Donnerstag erstmals in der Geschichte des Landes einen Entwurf für die internationale Sprachpolitik Portugals verabschieden.
Ob national oder international – eins ist dabei ganz klar: Eine internationale Sprachpolitik von Portugal kann nur im Verbund mit Brasilien Erfolg haben. Und Carlos Reis schlägt noch weitere ungewöhnliche Allianzen vor – etwa mit Spanien: In Universitäten könnte man etwa die Fakultäten für spanische und portugiesische Sprache zusammenlegen und so die Studenten animieren, doch gleich beide Sprachen zu lernen.
Unterwerfung oder Kooperation?
Ein Bündnis mit Brasilien heißt für Carlos Reis jedoch nicht unbedingt “Unterwerfung” – eine in Portugal weit verbreitete Furcht. Zwar solle eine internationale Sprachpolitik Portugals immer die Gesamtheit der portugiesisch sprechenden Menschen weltweit im Blick behalten. Doch:
“Auf der anderen Seite wollen wir auch die lokalen Besonderheiten stärker hervorheben, die Kreativität im Wortschatz und den Reichtum der lokalen Sprachformen. Die Botschaft ist jedoch die, sei es gut oder schlecht, dass wir nicht alles tun können.”
So vielfältig das Portugiesische in seiner weltweiten Verwendung auch bleiben soll: Zumindest in der Schriftsprache stehen die Zeichen derzeit auf Vereinheitlichung. Nach mehrfachen Anläufen haben sich Ende letzten Jahres alle portugiesischsprachige Länder mit dem “Acordo Ortográfico” auf die Einführung einer gemeinsamen Schriftsprache geeinigt.
Ob das Portugiesischlernen mit Einführung des Acordo Ortográfico etwas einfacher wird…? Foto: mark ponte auf Flickr
Diese Einigung beendet die jahrhundertealte Trennung der Schreibweisen diesseits und jenseits des Atlantiks. Mit dieser gemeinsamen Schriftsprache schreitet aber auch die “Brasilianisierung” des Portugiesischen voran. Denn während sich die Brasilianer mit dem Acordo Ortográfico in der Schreibweise von 0,43 Prozent ihres Wortschatzes umstellen müssen, sind es für die Portugiesen immerhin 1,42 Prozent der Wörter.
Doch den Acordo Ortográfico als Einfallstor für ein “brasilianisiertes Portugiesisch” zu begreifen sei ein Trugschluss, argumentiert Carlos Reis. Da seien ganz andere Kräfte am Wirken: Es sind die Kultur, Mode und vor allem die unzähligen brasilianischen Telenovelas, die Tag für Tag auch über die portugiesischen Bildschirme flimmern – und schon so manch eine Verschiebung in der Alltagssprache bewirkten.
Vielleicht ist in dieser Frage einfach mehr Gelassenheit gefordert – und eine Konzentration auf die wirklich wichtigen Aufgaben: Mehr Möglichkeiten zum Portugiesischlernen im Ausland schaffen, mehr auf lokale Besonderheiten eingehen, Allianzen mit Partnern schmieden. Dann profitieren Portugal und Brasilien gemeinsam vom wachsenden Einfluss einer “echten” Weltsprache Portugiesisch.
Juli 7th, 2008 um 10:45 am
Wieder ein sehr interessanter Beitrag, den man nur unterstützen kann. Eine gemeinsame Sprachpolitik und Verbreitung der portugiesischen Sprache über die Kulturinstitute mittels Sprachkursen wäre sicher ein guter Start. Instituto Cervantes und Institut français beispielsweise zeigen auf, wie es gehen könnte. Aber dafür ist natürlich neben dem politischem Willen auch ein ganze Menge Geld notwendig.
Juli 7th, 2008 um 5:08 pm
[...] Unterschied portug. Portugal/portug. Braslien Hallo Silke, lese Dir mal diesen Artikel durch – in zehn Jahren wird sich dann sicher vieles ge
Juli 9th, 2008 um 10:07 pm
Desculpem mas o meu Alemão ainda não é o suficiente para compreender o texto. Poderiam traduzir por favor?
Obrigada!
Juli 13th, 2008 um 7:29 pm
http://jn.sapo.pt/PaginaInicial/Cultura/Interior.aspx?content_id=967360
Estão aqui as mais recentes notícias sobre o assunto…
September 15th, 2008 um 12:09 am
Brasilianisch oder Portugiesisch lernen? Welcher Sprachkurs ist der Richtige?…
Gerade habe ich einen sehr interessanten Artikel auf portugalmania.de gefunden. Brasilianisch oder Portugiesisch: Wie viel Vielfalt verträgt eine Weltsprache?
dort heißt es z.B.:
Viel ist vom alten portugiesischen Weltreich wirklich nicht mehr übri…